PRESSEKONFERENZ 16. SEPTEMBER 2024


„Kultur ist das Floß, das uns alle trägt“ –
Das  neue Programm im Kleinen Theater bewegt sich mit ernsten Stücken nahe am Zeitgeist

„Things to happen that could change your life“ („Es werden Dinge geschehen, die Dein Leben verändern könnten“): Unter diesem etwas sperrigen Leitmotiv steht das Herbst-/Winterprogramm im Kleinen Theater, das am Montagvormittag im Rahmen eines Pressegesprächs von Intendant Sven Grunert und Rebecca Seethaler vorgestellt wurde. Den Auftakt bildet das Stück „Prima Facie“, ein Drama von Suzie Miller, das laut Ankündigung drängende Fragen zu Recht und Gerechtigkeit in den Fokus rückt. „Wir befinden uns in unruhigen Zeiten“, sagte Grunert. „Die Kultur, das Theater sollen dabei ein sicherer Hafen sein, in dem bestimmte Werte wahrzunehmen sind.“ Folglich habe man einen Spielplan auf die Beine gestellt, der versuche, auf aktuelle Ereignisse einzugehen. Wie eben im Ein-Frauen-Stück „Prima Facie“: Darin muss eine junge Frau, eine erfolgreiche Rechtsanwältin, erkennen, was passiert, wenn sich das System, an das man geglaubt hat, plötzlich gegen einen wendet. Sie wird Opfer einer Vergewaltigung und muss plötzlich in aussichtsloser Lage vor Gericht einen Prozess in eigener Sache führen. „Es ist das Zeitstück der Gegenwart schlechthin“, sagte Grunert. „Und es war gar nicht einfach, die Rechte dafür zu bekommen.“
Lyrische Autobiografie von Michel Friedman
Auch der weitere Verlauf im Herbst ist geprägt von eher ernsteren Stücken wie „Der geflügelte Froschgott“, „Lélé“ oder der lyrischen Autobiografie „Fremd“ von Michel Friedman, der darin seine eigene – jüdische – Kindheit im Nachkriegsdeutschland nachzeichnet, als er in einer von Tätern geprägten Gesellschaft aufwuchs. Heiterer dürfte es im Februar bei der Premiere von „Das Abschiedsdinner“ zugehen, wenn ein Ehepaar versucht, mit einem letzten Abendessen alten, aber inzwischen nervig gewordenen Freunden den Laufpass zu geben – was gehörig zum Scheitern verurteilt ist. Im März wird in „Ahoi!“ das Leben der Sängerin Lale Andersen dargestellt, die es mit „Lili Marleen“ mitten im Grauen des Zweiten Weltkriegs zu Weltruhm gebracht hatte. „Ich kann jedem zwischen 40 und 90 Jahren nur raten, sich das anzuschauen“, sagte Grunert augenzwinkernd. „Aber natürlich sind auch jüngere Besucher herzlich willkommen.“ Abgerundet wird das neue Programm von den Stücken „Bisschen anders“ (Songs aus sechs Jahrzehnten Film) und „James Brown trug Lockenwickler“. Dieses Werk trifft mit dem Thema Diversität ebenfalls voll den Zeitgeist. Ein Wiedersehen gibt es im Kleinen Theater mit bekannten und beliebten Produktionen wie „Norway. Today“, „Heilig Abend“, „Faust01 – Fragmente23“, „Die Wand“ und „Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst“. Ebenfalls nochmals gezeigt wird „[de]constructing BOdies: 12“, ein experimentelles Kunstprojekt, in dem zwölf Frauen im Kollektiv eine Performance zum Thema Körper und Weiblichkeit entwickeln. „Ich freue mich sehr, dass das bisher schon sehr gut beim Publikum angekommen ist und wir es nun ein weiteres Mal zeigen dürfen“, sagte Rebecca Seethaler, die mit Lea Sprenger die Leitung dieses Projekt übernommen hat.
Auch Gastspiele stehen wieder auf dem Programm
Und dann gibt es im Kleinen Theater noch Gastspiele, unter anderem des Journalisten Christian Muggenthaler, der sich zusammen mit seinem Publikum den Geheimnissen von Gedichten aus der Zeit der Romantik widmet, oder „Furchtlos durch den Alltag“, einem Monolog von Jule Ronstedt mit Kurzgeschichten von Mariana Leky. Es gibt eine musikalische Lesung unter dem Namen „Überlebenslust“ und das Stück „Und alle Tiere rufen“, laut Ankündigung ein wütendes Manifest junger Schauspielerinnen auf den Spuren der Aktivisten von Extinction Rebellion. „Kultur ist das Floß, das uns alle trägt“, sagte Intendant Grunert. Zur Mitfahrt auf diesem Floß bittet Grunert mit seinem Ensemble, einem „blutjungen, hoch engagierten Team“, wieder ab Anfang Oktober, wenn das Kleine Theater Landshut in seine mittlerweile 33. Spielzeit startet.

Bernhard Beez, Landshuter Zeitung, 17. September 2024

„Theater als Instrument Werte wahrzunehmen“ – 33. vielversprechende Spielsaison im kleinen Theater-Kammerspiele

Als Ort der Poesie etablierte Intendant Sven Grunert vor 32 Jahren das kleine Theater-Kammerspiele und machte es zum großen Theater moderner Inszenierungen. Gerade in diesen unruhigen Zeiten soll das  Theater „ein sicherer Hafen sein, in dem bestimmte Werte wahrzunehmen sind.“ Jede Produktion in der neuen Spielzeit setzt dazu einen besonderen Schwerpunkt und zwischendurch darf es auch heiter und unterhaltsam sein. Letztendlich geht es immer darum, was das Menschsein ausmacht. Das „Suchen, Staunen und Entdecken“ der Welt ist die Basis des theatralen Schaffens. 

Wie problematisch es wird, wenn Werte entschwinden, weil Systeme, denen man bislang selbstverständlich vertraute, zerbrechen, zeigt die erste Premiere…

Um die Täter-Opfer-Zuordnung geht Suzie Millers One-Woman-Stück „Prima Facie“, eines der aktuellsten Zeitgeist-Stücke, das landauf, landab gespielt wird. Eine junge Staranwältin, die sich hochgearbeitet hat und Männer verteidigt, die wegen Vergewaltigung angeklagt sind, wird selbst MeToo-Opfer. Louisa Stroux spielt unter der Regie von Sven Grunert  diese Frau, die schmerzhaft das erlebt, was sie bei  anderen Frauen als nichtig erklärte. Es ist ein Stück, das unter die Haut geht und den Paradigmenwechsel in Sachen Me-Too deutlich vor Augen führt.

„Der geflügelte Froschgott“ klingt nach absurder Satire und ist es auch. Ingrid Lausund räsoniert in ihrem monologischen Ein-Frauen-Stück auf humorvolle Weise über Gott. Eine Frau (Léonie Thelen), die ihren Lebensmenschen durch Krebs verloren hat, switcht  zwischen unterschiedlichsten religionsphilosophischen Überlegungen von Nietzsche bis Sartre. Welcher Gott ist der Richtige oder ist Gott schon tot? Theater eröffnet neue Blickwinkel und das auf eine sehr intelligente Art, durch die vielschichtigen Spielformen entfaltet sich eine „sehr intelligente Form der Unterhaltung“.

Eine inszenierte Lesung aus Michel Friedmans autobiografischem Buch „Fremd“ rückt seine persönliche Problematik des äußeren und inneren Fremdseins als staatenloses Kind stellvertretend für viele Flüchtlinge in den Mittelpunkt, aber  ermöglicht dadurch Spiegelungen des Fremdseins, das jeder Mensch in verschiedenen Situationen in sich trägt.

Um Einsamkeit und menschliche Kälte geht es auch in Sathyan Rameshs Stück „Lélé“. Zwei Menschen treffen aufeinander, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Gemeinsamer Nenner ist das Gefangensein, sie im Gefängnis, er in der Einsamkeit seines Zuhauses. Das hat dramaturgisch versöhnliches Potential genauso wie Yasmina Rezas Stück „James Brown trug Lockenwickler“, das statt sozialer Normierung und psychiatrischer Behandlung bei abweichendem Identitätsverständnis für diverse Vielfalt plädiert.

Was macht man, wenn man Freunde loswerden will? Matthieu Delaportes sarkastische Komödie „Das Abschiedsdinner“ wäre eine Möglichkeit, allerdings mit unfreiwilligen Wahrheiten garniert.

Franziska Ball kommt mit der Gastspiel-Uraufführung von Rainer Lewandowskis „Ahoi! Lale Andersen – Leben, Lieben, Lieder“ nach Landshut und singt u. a. das bislang noch nie veröffentlichte „München-Lied“, eine absolute Ausnahme im Repertoire der „personifizierten Nordsee“.

Darüber hinaus bietet das Kleine Theater ein überaus interessantes Repertoire wie „Faust01 – Fragmente23“, „Norway. Today“, „Die Wand“ oder „Heilig Abend“, erweitert durch eine Reihe von Gastspielen.

Michaela Schabel, Schabel-Kultur-Blog, 23. September 2024

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